Die Buggenraths
Als Udo Steinkes Erstling. ‚Ich kannte Talmann‘ erschien, begrüßten renommierte Kollegen das neue Erzähltalent. Heinrich Böll: „Das ist eine wunderbare Geschichte.“ Dies schmale Taschenbuchbändchen mit gesammelten Erzählungen und Geschichten brachte ihm nicht nur hymnisches Lob (und einen vernichtenden Verriss) bei der Kritik ein, sondern - durch die scheinbar im Alleingang getroffene Entscheidung eines Kultusministers – auch den hochdotierten ‚Bayerischen Literaturpreis‘.
Nun also hat Steinke seinen ersten Roman geschrieben. Er beginnt dort, wo andere gemeinhin aufhören: mit Tod und Begräbnis des Familienoberhauptes Johann Sebastian Buggenrath. Eine Parodie auf den klassischen Familienroman, wie schon der Titel suggeriert? Steinke lässt diese Buggenraths kreuz und quer im Einst und im Heute, in Deutschland-West und in Deutschland-Ost lieben und leben. Treibt er sinnlich-fröhliches Schindluder mit dem nobelpreisgekrönten Schicksal der vergebens um ein würdiges Überleben bemühten norddeutschen Patrizierfamilie? Oder holt er zum satirischen Rundschlag gegen die ein paarmal ironisch zitierte ‚Weltschmerz-Literatur‘ der siebziger Jahre aus? Natürlich macht Steinkes sprachwitzig präsentiertes Familienpandämonium, das mit seiner nimmermüden Liebeslust allem anderen entgegenzieht als dem ‚Verfall eine Familie‘, auch Spaß, ja es soll Spaß machen: Die Zeit und die Zeiten – und mindestens ein Buggenrath ist immer dabei! – sind viel zu ernst als daß man sie tierisch ernst nehmen sollte. Mit verwegenen Scherzen ist Steinke denn auch nicht zimperlich, wenn es gilt, ängstlich gehütete Tabus beiseite zu fegen und heilige (politische, moralische, intellektuelle) Kühe notzuschlachten. Seine furiosen Szenen aus dem Familienleben spielen innerhalb weniger Monate des Jahres 1950 –doch durch listenreiche Rück-und Vorausblenden beziehen sie wie nebenbei deutsche Geschichte der letzten 80 Jahre mit ein.
Für diese Buggenraths gilt, was Christoph Meckel schon über ihre Geistesverwandten Talmann und Dochenischt schrieb: Sie sind „alternative Bürger aus drei Staaten: Nazideutschland, DDR und Bundesrepublik… das sind komplexe Gestalten im Hintergrund der Zeitgeschichte und in einem weitherzig sozialistischen Weltbild ohne Verkniffenheit oder Vorurteil, und wenn das Wort menschlich gebraucht werden kann, dann kann es hier als Hinweis stehen auf eine Prosa, die ohne Herztümelei oder falsche Scham menschlich ist, und das heißt auch: lesbar für alle.“
„Zwischen den angewelkten Grashalmen perlten Herbsttröpfchen vorwitzig zur Erde hinab und wurden sofort aufgesaugt von dem ausgetrockneten Friedhofsgrund; der Morgentau war zu schwach für eine Aufweichung des ziegelharten Bodens, und an eine Arbeitserleichterung war somit nicht zu denken. Doch das Grab musste in zwei Stunden offen sein, denn zwölf Uhr mittags wollte der Herr Pfarrer eine Hand voller Erde zurückwerfen in das Loch des Vergessens, und anschliessend sollte er den Segen für eine Familiengründung sprechen“
‚Die Buggenraths‘ ist der Roman einer großbürgerlichen Familie von umwerfend direkter Menschlichkeit. Steinke webt in die prallsinnlich Familienszenerie zugleich den Zeithintergrund ein. Ein sprachlich kunstvolles Stück ‚deutsch-deutsches‘ Leben, unkonventionell, voller Witz erzählt.
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Rezensionen:
- Süddeutsche Zeitung, 14./15.11.1981: Über den Roman "Die Buggenraths"